• Interview

Angst hab ich nicht, manchmal wart ich nur

Monika wurde 1942 in Gainfarn, Niederösterreich geboren. 1997 wurde sie eine Ortschaft weiter zu meiner Großmutter. Letzten Sommer sprachen wir über ihr Leben und ihren Wunsch zu sterben.

Edgar Lessig im Gespräch mit Monika Lessig.

Oma, warst du eigentlich das jüngste Kind?

Das achte von zehn Kindern. Und heut bin ich 82 und nur mehr die Einzige. Ich hab alle überlebt.

Wie geht es dir damit?

Furchtbar. Getroffen hat mich, wie dann die Anna auch noch gestorben ist. Weil, mit der hab ich viel Kontakt gehabt. Wenn du heiratest, hast du ja weniger Zeit für deine Geschwister. Aber dann kommt wieder die Zeit, wo du den Kontakt suchst. Und solang die Mutter da war, haben wir uns eigentlich immer bei ihr getroffen. Aber bei der Anna, da bin ich alleweil (= immer) an einem Donnerstag stehen geblieben und hab geplaudert mit ihr. 

Monika, wir sind nur mehr die Einzigen.

Sie war die Letzte, die gelebt hat?

Ja, die Letzte. Und jetzt sind die ganzen Freunde weg. Die Frau T., die mit mir in die Schule gegangen ist, sagt: „Monika, wir sind nur mehr die Einzigen.“ Aber es ist das Alter da, wo du sagst, na? Und mein Gott, na, du musst es eh nehmen, wies kommt, weil, ich kann mich nicht jung trimmen. Ich mach so, wies mir gefällt. Aus. Ja, es ist schon ein Hindernis, dass ich nicht gehen kann. Das tut mir weh. Aber einmal in meinem Leben renn ich noch, und wenn ich den Teufel dafangen (= einfangen) geh.

Als Kind bist du in die Klosterschule geschickt worden, oder?

Nein, in die Klosterschule nicht. Ich war bei der Jungschar bis 14 Jahr und unser Kindergarten war ein Kloster, waren Schwestern. Wir haben keinen anderen gehabt in Gainfarn. Ich bin gern in die Kirche gegangen. Das war unser Leben. Und die Schwestern… Also ich war ja keine Brave. Ich bin alleweil ins schwarze Zimmer gekommen. Und da hat die Schwester Vilana gesagt: „Monika, warum bistn so schlimm?“

Was ist das schwarze Zimmer?

Das war ihr Zimmer, und wenn ich ganz schlimm war, hats uns geholt. Und die Schwester Vilana hat sich dann hinghuckt (= hingesetzt) und hat mir dann zugeredet: „Das machst nicht mehr“, und „So gehört das.“ Das tut dir ja auch gut. Ich bin anerkannt worden. Die Mutter hat ja auch nicht viel Zeit gehabt. Naja, wo kann eine Mutter, wenn die zehn Kinder hat… Es war trotzdem eine schöne Kindheit. Aber vor meiner Mutter hab ich heut noch Achtung. Weil, eine Frau muss das leisten, was meine Mutter geleistet hat. Und ehrlich, von ihr haben wir erst die Liebe gekriegt, also dass sie es zeigen hat können, wies fast vorm Sterben war. Also, das glaubst nicht. Nein, so hats kein Busserl gegeben, aber da hat sie dich richtig… Also wirklich. Im Zimmer ists gelegen und hat gewartet. Alle waren da, nur der Hanserl noch nicht. Sie hat alleweil auf die Tür geschaut und hat dabei wollen alles rausbringen. In ihrem ganzen Leben hat sie nicht so viel geredet. „Hast sicher eine Bluttransfusion gekriegt“, hab ich zu ihr gesagt. „Meins hast kriegt, deshalb springst so herum.“ Und sie hat gelacht. In der Nacht ist sie dann gestorben. 

Und sie hat gelacht. In der Nacht ist sie dann gestorben.

Gestern hast du mir gesagt, dass du mit Gott haderst?

Ich hab immer geglaubt, richtig glaubt. Aber gehadert hab ich wirklich, wie mein Bruder gestorben ist. Da bin ich das erste Mal nach Maria Zell wahlfahrten und bin beim Altar gestanden. Ich hab nicht beten können. Weil ich nicht verstehen hab wollen, wie kann man einen Vater, wo zwei Kinder da sind, sterben lassen. Der Poidi war 39 Jahre. Naja, dann bin ich ja nicht mehr in die Kirche gegangen.

Hast du da mit der Kirche abgeschlossen?

Ja, na, nicht abgeschlossen. Also ich bin oft, weißt eh, da gehst rein und zündest ein Kerzerl an, dass der Familie nichts passiert. Das hab ich schon weiter getan. Aber denkt hab ich mir irgendwann schon: „Glaubst, dass wirklich was gibt?“ Ich mein, wir sind erzogen worden, dass es was gibt. Aber ich weiß, wenns dir dreckig gehst, suchst den Herrgott. Das versteh ich aber nicht. Weil, du musst ja eh selbst klar werden mit dem Ganzen. Er hilft dir ja trotzdem nicht. Und jetzt sag ich: „Was hab ich angestellt, dass er mir das antut?“ Und da hader ich so. Weil die Kirche sagt ja, da ist man auserkoren zu leiden. Der Jesus hat ja auch gelitten für uns. Da scheiß ich drauf.

Du hast in deinem bisherigen Leben viel harte Arbeit machen müssen und jetzt geht es dir nicht mehr so gut, wie du es gerne hättest. 

Schwere Arbeit. Mein Vater ist entweder in der Lungenheilanstalt oder oben gelegen im Zimmer. Meine Mutter ist arbeiten gegangen und wir waren zehn Jahr und haben Holz gehackt. Das war eigentlich eine schwere Arbeit. Wir sind Goaß (= Ziegen) halten gegangen. Da hast 50 Groschen kriegt oder einen Schilling für eine Goaß die ganze Woche. Und 50 Goaß haben wir gehabt. Das war ein Vermögen. Aber das war selbstverständlich, dass wir das machen, da hat sich die Mutter gefreut.

Und wann hast du in der Fabrik angefangen zu arbeiten?

15 war ich. Friseurin hab ich lernen wollen und ich hätt schon einen Lehrposten gehabt. Da hat aber die Gesundheitsabteilung gesagt, nein, weil mein Vater Tuberkulose gehabt hat. Und da haben sie eine Angst gehabt, dass wir auch anfällig werden, wegen den Dämpfen, die man da einatmet. Da hab ich schon gesagt: „Für die Fabrik bin ich gut genug, aber eine Lehrstelle hab ich nicht ausüben dürfen.“ Und dann bin ich halt in die Fabrik gegangen. Da hab ich noch 48 Stunden gearbeitet. Dann, wie der Günter sich selbständig gemacht hat, hab ich daheim mitgenäht. Und wie er dann beim Bundesheer Schneider war, hab ich gesagt, wir kommen nicht aus. Da bin ich zuerst in die Tischlerei lackieren, dann in den Verkauf gegangen. Und dann bin ich bis zum Schluss auf die Bezirkshauptmannschaft putzen gegangen.

Was bekommst du heute an Pension?

Was ich heute krieg? 680 Euro.

Wann hast du eigentlich deinen Bandscheibenvorfall gehabt?

Mit 53. Da bin ich operiert worden und hab mich aber nicht mehr dafangen (= erholt), weil da habens mich verletzt. Und mit 28 hats angefangen, dass ich die Zähne verloren hab. Einen nach dem anderen. Und wie ich zehn Jahre in der Bezirkshauptmannschaft war, habens mich unkündbar gestellt und hab ich müssen Lungenröntgen. Da habens dann festgestellt, dass ich auch einmal Tuberkulose gehabt hab.

Und seit wann kannst du nicht mehr gut gehen?

Also im linken Fuß hab ich die Kraft verloren wegen den Bandscheiben. Und seit neun Jahren, seitdem ich das rechte Knie operiert hab, seitdem ist es ganz schlimm geworden. Seitdem fahr ich ja mit dem Rollator. Du siehst es eh, es wird alle Jahr halt schlechter.

Ich will nicht leiden und ich will, dass sie mir helfen.

Ich frage das alles deshalb, weil du ja oft sagst, dass du nicht mehr magst. Seit 2022 kann man eine Sterbeverfügung einrichten und zum assistierten Suizid kommen. Würde für dich sowas in Frage kommen?

Ich will nicht leiden und ich will, dass sie mir helfen. Ich will niemand zur Last fallen. Und wenn ich deppad (= blöd) bin, und ich scheiß mich an und alles, dann will ich, dass mir geholfen wird, dass ich einschlaf. Das ist mein größter Wunsch. Na, mein Gott na, mein Herz ist ja gesund und wenn das Herz gesund ist, stirbst nicht geschwind. Meine Geschwister sind alle an Herzversagen gestorben. Aber am Herz hab ich noch nie was gehabt. 

Glaubst du, würde dich die Kirche trotz assistiertem Suizid da oben rein lassen?

Ich will ja gar nicht da rauf. Heast (= Hör mal), da oben ists ja kalt. Naja, ich brauchs ja eh nicht warm. Ich komm eh in den Himmel. Nur der Günter kommt in die Hölle, weil dem ist kalt. Den muss ich in die Hölle schicken. Wenn er da oben anklopft, werd ich sagen: „Heast, den lass nicht rein! Dem ist kalt! Der sekkiert (= nervt) mich da heroben auch noch!“ Naja sicher, man muss ja auf das Rücksicht nehmen. Jetzt bin ich schon ausgezogen ausm Schlafzimmer, weil er 24 Grad will und ich will nur 18 und dann rennt er mir noch nach? Nein, nein. Das kommt nicht in Frage.

Du spaßt ja viel über den Tod und über das Sterben…

Na sicher spaß ich! Ich hab aber keine Angst nicht. Weil ich lieg wirklich oft und denk mir: „Warum kann ich nicht sterben?“. Horch (= Hör zu), das erste Mal, wo ich denkt hab, ich kann sterben, war, wie der Günter keine epileptischen Anfälle mehr gehabt hat. Da hab ich mir denkt: „So, jetzt kann ich gehen, ich hinterlass den Kindern nicht die Arbeit, dass sie bei ihm Tag und Nacht sein müssen.“ Und jetzt hat er Alzheimer, jetzt kann ich wieder nicht. Aber er wird eh immer schwächer.

Du hast einmal drüber gespaßt, dass du feuerbestattet werden willst, weil dich da noch einmal ein junger Mann durchmassiert. 

Na heast, wenn die mir einen Oiden (= Alten) schicken? Ich hab gesagt, wir lassen uns verbrennen und dann hab ich das Grab organisiert. Und vorher hab ich mir im Fernsehen angeschaut, wie die Verbrennung zu Wege gebracht wird. Da hab ich dann schon gesagt: „Na schön, da werd ich noch einmal gestreichelt.“ Weil, du wirst verbrennt und dann wirst durchgreitat (= durchgesiebt). Stimmt ja. Also, es ist ja nicht einmal so schiach (= hässlich), aber ich hab mir müssen schon anschauen, ob das richtig ist, wenn ich das so mach. Vorher hab ich immer nur denkt: „Ich lass mich von den Viechern nicht zerfressen!“

Na schön, da werd ich noch einmal gestreichelt.

Gibts auch Momente, wo du Angst hast?

Angst hab ich nicht, manchmal wart ich nur. Da sehn ich ihn herbei. Und ich fürcht mich nicht. Wir haben schon gelebt. Ich kann mir eh nicht mehr die Haxen ausreißen (sich einen Haxen ausreißen = sich bemühen), weil die hat er mir schon ausgerissen. Wennst einmal 80 bist, was willst denn? Ich freu mich, wenn die Kinder kommen, also das ist immer noch meine Freude. Das ist eh noch, was mich vielleicht auch aufrecht haltet. Freilich haderst einmal: „Warum gehts mir so schlecht? Warum kann ich nicht sterben?“ Aber zwei Minuten später lach ich schon wieder. Sag ich einen Blödsinn und denk mir: „Mein Gott na! Bin ich so deppad, warum lach ich denn schon wieder?“ Aber das war vielleicht für mein Leben gut, dass ich es so gemeistert hab. Weil es waren schon oft Sachen, wo du wirklich glaubst, es geht nicht weiter. 

Glaubst du, dass es nach dem Tod weitergeht?

Nein. Das hab ich schon oft durchgemacht. Wenn wer sagt: „Da oben ist ein schönes Leben.“ Wenn ich verbrennt bin, bin ich verbrennt, was soll denn da noch weitergehen? Vielleicht komm ich als Ameise noch auf die Welt.

Aber hast du es einmal geglaubt?

Ja, früher schon. Da hab ich wirklich glaubt, da oben ist er und da unten ist die Hölle. Aber das ist schon lang weg, weil, da hab ich mir dann denkt: „Das wird uns vorgespielt.“ Aber nur dann fallt mir wieder ein, warum bist du dann so weit, wenns dir dreckig geht, dass du… Das ist ja das! Ist es einem so eingegeben? 

Seit wann willst du sterben? Wann hat sich das geändert?

Ich weiß nicht, ich glaub, das war so ein Verlauf. Und durch das, wo jetzt die ganzen Freunde so nacheinander weg sind… Also da sitz ich da und denk mir: „Bist du deppad!“ Dass ich an der letzten Stelle steh, das hab ich eh gewusst. Aber ich brauch mir nichts mehr erwarten. Was denn? Soll ich auf Amerika fliegen?

Hast du dir schon eine Urne ausgesucht?

Es muss eine werden, die vernichtet sich selbst. Dass alles weg ist.

Du hast dir auch mal überlegt, dass die Asche auf alle aufgeteilt wird.

Willst auch was von mir? Ich mach zwölf Urnen und jeder muss sie im Wohnzimmer anschauen. Nein. Zuerst hab ichs mir so vorgestellt, aber mir scheint (= ich glaub ich spinne)! Die sollen mich auch noch alle Tag anschauen im Wohnzimmer? Nein, wie kann ich das den Buben antun. Und dann hab ichs mir so vorgestellt: Ich werd gleich verbrennt, ich will ja nicht ein Theater. Weil, ich glaub, mit dem Sarg ists mehr Theater. Da rearn (= weinen) zu viele Leut, weil da wissens, der liegt da drin. Aber wenn eine Urne dort steht, da ist ja nichts mehr. Also, wie kann man da rearn, wenn nichts mehr da ist. Weil, man muss ja nicht glauben, dass ich da drinnen lieg. Wer weiß was der da rein gehaut hat. Die können mich von daheim oder wo ich halt lieg, gleich hinfahren ins Krematorium und dann gehen meine drei Buben und tun mich ins Grab. Und dann sagt ein jeder: „Mei Gottseidank, jetzt gibts eine Ruhe.“

Du möchtest also nicht aufgebahrt werden vor der Verbrennung?

Im engsten Familienkreis kann ichs machen. Da kommen ein paar Leut und dass natürlich die Verwandten und die Kinder kommen, das ist eh klar. Und wenn nicht, seh ich das von oben. Dann geb ich dir eh kalt-warm (= die Hölle heiß machen). Da will ich dann schon oben sein, weil von unten seh ich dich nicht. Nein, das find ich blöd, wenn der Sarg nicht schon verbrennt ist, sondern dann weggeführt wird und das ganze Theater geht von vorne an. Ich sag dir was, von der katholischen Kirche aus find ich ja das so wie so, dass ich mich verbrennen lassen kann. Weil, der Pfarrer sagt ja bei der Taufe schon: „Von Staub zu Staub!“ Und sie sind so dagegen, gegen das Verbrennen gewesen. Also wenn man da logisch denkt, wär das wurscht, wenn ich verbrennt werd. Aber was der Pfarrer auch sagt, und das war nur bei einem Begräbnis: „Und der Nächste bist du!“ Du fühlst dich betroffen, der neben dir fühlt sich aber auch betroffen. Nur, ich weiß nicht, mit wem ich da gesessen bin, da hab ich sie angetupft und hab gesagt: „Weißt eh, der Nächste bist du.“ Da schau ich schon und denk mir, was redet die katholische Kirche für einen Blödsinn zusammen. 

Willst du einen Pfarrer bei deinem Begräbnis haben?

Warum nicht. Wennst katholisch bist, kann der Pfarrer dir auch noch den Segen geben. Den nehm ich schon mit. Sonst komm ich ja nicht in den Himmel rein, der muss mir ja die Sünden nachlassen.

Gibts was, das du uns nach deinem Tod mitgeben möchtest? Dein Erbe hast du ja schon zu deinem 80ten Geburtstag aufgeteilt. 

Ich kann dir nichts mehr mitgeben. Ich hab ja nichts mehr. Aus ists. Das wär schön, wenn ich einen Lotto Sechser mach, dann hab ich noch einmal was. Aber da muss ich zuerst spielen und spielen tu ich nicht.

Du hast von einem Brief erzählt, den du schreiben möchtest? 

Den hab ich jetzt in Arbeit. Der kommt jetzt wieder in den Nächten. Weil, ich muss ja immer auf was denken. Ich muss ja weiter noch denken, dass ich noch nicht da drüben bin. Dort drüben denkst ja nichts mehr. Aber das ist noch nicht reif. Was für ein Blödsinn da rauskommt, das weiß ich noch nicht. 

Da will ich dann schon oben sein, weil von unten seh ich dich nicht.

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