• Gedanken

Von Wünschen und Death Doulas

Woher kommt der Begriff "Death Doula"? Und warum gewinnt er gesellschaftlich wieder an Bedeutung? Merle Büttner über ein Berufsbild, das Lücken schließt.

Gedanken von Merle Büttner.

Wenn ich mal sterbe, möchte ich es mit dem Blick ins Grüne tun. Ich möchte den Wind hören, ihn spüren können. Und ich möchte, dass es nach frischer Wiese oder Wald riecht. Ich möchte, dass es draußen noch hell ist und drinnen die Lichter gedimmt sind. Ich möchte weich und kuschelig liegen. Ich möchte dabei nicht frieren und dicke Socken tragen. Ich möchte nicht allein sein. Ich möchte, dass der Papierkram weitestgehend geregelt ist. Dass es genauso so kommen wird, ist unwahrscheinlich. Oder?

Die Arbeit der Death Doula beginnt oft mit einer Diagnose. Eine Death Doula, meist eine Frau, versucht zu ermöglichen, dass Sterbende genau den Tod bekommen, den sie sich wünschen. Dabei begleitet sie – Sterbende wie Angehörige – emotional, praktisch und körperlich. Sie organisiert Termine mit Notarinnen und Anwälten, führt Gespräche, plant die Stunden des Todes, bereitet vor, hilft den digitalen wie emotionalen Nachlass zu ordnen. Möglicherweise hilft sie im Haushalt. Sie hört zu. Sie fragt nach. Sie bezeugt Lebensgeschichten und unterstützt bei spirituellen Fragen. Sie behält den Überblick.

Der Begriff „Doula” kommt aus dem Griechischen und bedeutet Magd oder Dienerin. Im Laufe der 1970er Jahre erfährt er eine Renaissance als Definition von nicht-medizinischen Helferinnen während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Warum sind wir Menschen beim Sterben häufig allein und unvorbereitet, während es beim anderen Übergang, dem Ins-Leben-Kommen, so wertvolle Unterstützung gibt?

Death Doulas bekommen zunehmend öffentliche Aufmerksamkeit, besonders seit der Pandemie gewinnt die Bewegung aus den USA an Zulauf. Sie wollen den Tod aus der Tabuzone holen. An dieser Stelle wird oft erwähnt, dass die Bewegung um Death Doulas noch recht jung sei. Tatsächlich ist ihre Rolle in einigen Communities, wie bei indigenen Gruppen, schon lange existent und ein fester Bestandteil ihrer Kultur. Deswegen kommt es gelegentlich zu Spannungen und Kontroversen bezüglich Tradition, Gemeinschaftlichkeit, Modernisierung, Formalisierung, Monetarisierung. Nicht zuletzt spielt auch der Aspekt der kulturellen Aneignung eine Rolle.

Die Arbeit der Death Doula bietet die Möglichkeit, eine Lücke zu schließen.

Im Laufe der letzten Jahrhunderte bedeutete der Tod für Frauen hierzulande zunächst einmal: Tod der anderen. Tod der Kinder, Tod der Männer – der Ehemänner wie auch anderer männlicher Familienangehöriger. Denn demographisch und epidemiologisch gesehen gab es deutlich mehr alte Frauen als Männer. Sie waren also meist diejenigen, die zurückblieben. Seit dem 17. Jahrhundert gab es sogenannte Totenfrauen. Die Aufgabe der Totenfrau eines Dorfes oder Stadtviertels war es, Verstorbene zu waschen und anzukleiden. Sie vorzubereiten für Aufbahrung, Totenwache und Aussegnung, was heute gängigerweise Teil der Arbeit eines Bestatters oder einer Bestatterin ist. Außerdem kümmerte sie sich häufig um die Anzeige beim Standesamt, ähnlich zur heutigen Death Doula kümmerte sie sich somit auch um den Papierkram.

Mit der Hospizbewegung engagierten sich in Deutschland in den 1990er Jahren immer mehr Menschen ehrenamtlich in Verbänden und Organisationen zur Förderung der hospizlichen und palliativen Arbeit. Auch heute stellen ehrenamtliche Sterbebegleitungen noch einen wichtigen Teil der Hospizdienste dar. Sie unterscheiden sich in Aufgaben und Rahmen allerdings sehr von dem umfangreichen Job, den eine Death Doula macht. Beides hat seine Wichtigkeit. Death Doulas sollten nicht als Konkurrenz von anderen Angeboten wie ehrenamtlichen Sterbebegleitungen, Trauerbegleitungen, Sterbeammen oder gar medizinischen Palliativdiensten gesehen werden. Ihre Arbeit bietet die Möglichkeit, eine Lücke zu schließen. Dort zu sein, wo gerade keiner ist und zu navigieren und zu moderieren, wenn gewünscht.

Die Begriffs- und Berufsbezeichnung „Death Doula“ ist ein noch laufender Prozess. Zum ersten Mal hörte ich davon, als ich ein inspirierendes Interview mit Alua Arthur, der wohl berühmtesten Persönlichkeit der USA in dem Bereich, las. Mit ihrem Unternehmen „Going with Grace“ unterstützt sie Menschen rund um das Ende des Lebens. Und sie bildet Death Doulas aus, wie auch die ahorn-Co-Gründerin Charlotte Wiedemann. Bisher gibt es in den USA wenig Ausbildungsmöglichkeiten dafür, geschweige denn in Deutschland, obwohl das Interesse steigt. Der Beruf ist nicht geschützt, und Versicherungen erstatten keine Leistungen der Doulas. Die Hintergründe der Menschen, die Death Doulas werden oder werden wollen sind unterschiedlich. Häufig kommen sie aus der Pflege, dem sozialen oder therapeutischen Bereich.

Je mehr ich mich mit dem Thema Death Doula beschäftige, desto mehr frage ich mich: Ist es die Historie der Frauenrolle im Tod, warum sich vorzugsweise Frauen angesprochen fühlen, in den Bereichen Sterben, Tod und Trauer? Liegt es daran, dass Frauen häufiger in Care-Berufen arbeiten? Dass noch die gesellschaftlich etablierten Unterschiede bezüglich emotionaler Arbeit in uns stecken? Oder ist es in diesem Fall nur der Begriff der Doula? Und warum ist das Klischee des Bestatters in unseren Köpfen meist männlich?

Ich finde, wir sind weiter als das. Und ich sehe Chancen. Wie wäre es, wenn wir gesellschaftlich lernen, die Rolle der Frau im Tod und Sterben zu schätzen, zu würdigen und sie gleichzeitig für alle öffnen, alle ansprechen?

ahorn möchte als Plattform eine Rolle dabei spielen, Death Doulas und ihrer Arbeit in Deutschland einen Platz zu geben. Sie sichtbar zu machen, ihren Beruf zu etablieren. Es sollte kein Privileg sein, das Wissen und den Raum zu haben, mich während meines Lebens mit meinem Sterben auseinandersetzen zu können und mir Gedanken darüber machen zu können, was ich mir wünsche. Es sollte kein Privileg sein, dass ich weiß, was eine Death Doula ist und es mir leisten könnte, eine zu engagieren.

Wenn du einmal sterben wirst, wer soll dabei sein? Wo möchtest du sein? Wie soll es riechen?

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