• Erlebnisbericht

Hausaufbahrungs-Workshop

Wie berührend und persönlich ein Abschied sein kann: Durch Rituale, gemeinsames Gestalten und den Mut, umzudenken, wird der Tod (be-)greifbarer und der Abschied menschlich und nah.

Von Merle Büttner.

Eine wirkliche Vorstellung hatte ich nicht, als ich mich für den Hausaufbahrungs-Workshop bei ahorn anmeldete. Aufbahrung. Ich hatte Bilder im Kopf: Von berühmten Persönlichkeiten wie Kennedy, Mutter Teresa oder Elvis, die offen aufgebahrt wurden, um auch der Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, sich zu verabschieden. Eine Hausaufbahrung hatte ich noch nicht erlebt. Geschweige denn durchgeführt. 

Das Bestattungsgesetz unterscheidet sich je nach Bundesland. In Berlin ist es bis zu 36 Stunden nach Todeseintritt möglich, dass Verstorbene in den Räumlichkeiten verbleiben. Das gilt auch, wenn der Mensch im Krankenhaus oder Pflegeheim verstorben ist. Verstorbene können auch von dort aus nach Hause gebracht werden. Es ist also nicht zwangsläufig nötig, den Körper direkt zu überführen. Ich finde, allein dieser Fakt ist ein unglaublich großer Wissensschatz. Denn er bedeutet Selbstermächtigung. Zu wissen, was im Todesfall möglich ist, was ich aus gesetzlicher Sicht darf, bedeutet: Selbst entscheiden zu können. Und das kann für einen Trauerprozess ein wichtiger Grundstein sein.

Dürfen. Das ist für mich ein Stichwort gewesen, an diesem Nachmittag. Nicht nur aus gesetzlicher, sondern aus gesellschaftlicher Sicht. Was darf ich tun, um mich zu verabschieden? 

Wir trafen uns in einer Kreuzberger Wohnung. Zu Beginn des Workshops wurde uns die Lebende vorgestellt, welche die Verstorbene spielen würde. Wir inszenierten einen Tod durch Sturz in der Küche. Nun lag sie da, unsere Leiche, auf dem blanken Küchenboden. Da hatte ich bereits das Bedürfnis, ihr irgendetwas unterzulegen. Ein Kissen oder eine Decke. Klar, in dem Fall hatte sie ja auch Empfindungen, weil sie tatsächlich sehr lebendig war. Aber auch wenn sie es nicht gewesen wäre: Warum sollte ich anders denken? Würde ich im Ernstfall den Tod mit seinen Konsequenzen in diesem Moment schon begriffen haben? Ich vermute nicht. 

Also, wohin mit ihr? Die zusammengewürfelte Gruppe von Workshop-Teilnehmenden schaute sich um. Der Küchentisch hatte die optimalen Proportionen und wäre eine sinnvolle Option gewesen, erschien den meisten aber nicht passend. Also, ab ins Bett. Die Bestatterin Barbara Rolf zauberte ein großes, schlichtes Tuch aus ihrem Koffer und erzählte uns, dass dieser alles beinhalte, was sie für eine Aufbahrung brauchte. Sie zeigte uns die Technik, wie wir das Tuch unter den Körper der Verstorbenen schieben und sie damit vom Küchenboden zum Schlafzimmer und ins Bett transportieren konnten. Für unsere Gruppe schien das Gemütliche von großer Priorität. Nach dem Waschen und Anziehen machten wir es der Verstorbenen so richtig bequem. Die Wollsocken durften nicht fehlen.

Der Koffer wurde wieder geöffnet und Barbara Rolf förderte verschiedene Beispiele für Rituale zutage. Auf dem Tisch befand sich nun eine bunte Sammlung an Dingen. Blumen, Urlaubsandenken, Düfte, Süßigkeiten. Was zunächst als zögerliches Dekorieren begann, wurde zu einer kreativen und ausgelassenen Aktion. Ich begriff, dass es bei einer Hausaufbahrung wahrscheinlich ähnlich verlief. Sich erlauben, auf die eigene Art zu verabschieden und dabei eventuell die eine oder andere gesellschaftliche Konvention zu ignorieren, braucht Zeit und Mut.

Die Hausaufbahrung erscheint mir als sinnvolle Chance, sich in Ruhe und mit eben dieser Zeit zu verabschieden. Um nochmal zusammenzukommen. Ob gemeinsam mit anderen, oder nur mit der verstorbenen Person. Zu tun, was ich oder wir brauchen, um Tschüß zu sagen. Um wertzuschätzen und sich zu bedanken. Zusammensein, weinen, lachen, singen, schreien, schweigen, essen, trinken, erzählen, beten, tanzen, vorlesen. Ich lernte, dass das Begreifen einer Situation leichter fällt durch das wortwörtliche Begreifen. Anfassen, streicheln, Hand halten, daneben liegen. Sich vom Körper verabschieden.

Jemand wollte Parfum über die Verstorbene sprühen. Sie rief: „Dann nimm’ aber bitte das Versace!“ Ich musste lachen und fragte mich gleichzeitig: Wüsste ich das, welches Parfum meine Engsten am liebsten tragen? 

Wir aßen Pizza. Auch unsere lebendige Verstorbene wurde gefüttert. Zum Schluss sangen wir, aus unterschiedlichen Positionen und Ecken des Raumes. Die Stimmung war schön, es hat sich leicht und gleichzeitig aufgeladen angefühlt. Mit einer brennenden Kerze auf dem Nachttisch, Gummibärchen in der Hand, einem Armband am Handgelenk, weich gebettet, kuschelig eingepackt und wohlriechend lag sie da. Als hätten wir tatsächlich jemanden verabschiedet. In einem kleinen Kreis, der mir anfangs fremd und am Ende nah war.

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