• Perspektiven

Komm, wir lachen uns tot

Lachen im Angesicht des Todes: Humor kann die Schwere der Trauer erleichtern und uns helfen, den Verlust auf eine neue Art zu betrachten. Denn der Umgang mit dem Tod ist nicht immer nur ein Trauerspiel.

Der Tod wird oft lieber totgeschwiegen, statt dass man offen über ihn spricht und sich auch mal über ihn totlacht. Schade eigentlich! Es ist ja so: Wir sterben immer noch hauptsächlich am Tod. Und obwohl das Sterben eines der wenigen Dinge ist, die man gut auch im Liegen erledigen kann, eilt dem Tod immer noch ein schlechter Ruf voraus. So wird er oft lieber totgeschwiegen, statt dass man darüber offen spricht und sich auch mal darüber totlacht. Schade eigentlich! Denn an Situationskomik mangelt es – wie überall im Leben – auch hier nicht. Die Bestatterin Barbara Rolf erinnert sich zum Beispiel an diese Begebenheit, als sie noch ihr Bestattungsinstitut in Stuttgart führte: „Einmal rief mich jemand an und sagte: ‚Hallo, hier ist …‘ und fing dann so an zu lachen, dass er fast keine Luft mehr bekam. Der Grund: Er hieß mit Nachnamen Killer. Sonst auch schon witzig, aber besonders, wenn man bei der Bestatterin anruft. Sogar, wenn eine nahestehende Person gerade gestorben ist.“ Auf der Website des Instituts wurde sogar eine eigene Rubrik, „Zum Schmunzeln“, eingerichtet, die amüsante Erfahrungen der Bestatterinnen und Bestatter und Berichte von Zugehörigen sammelt. Unter anderem ist dort zu lesen: 

Der Vater, Opa und Uropa ist zuhause gestorben und bleibt dort noch bis zum nächsten Tag. Er soll Zeit haben zum Abschied nehmen, und seine Familie auch. Am Abend unterhalten sich die Eltern (denn auch der Alltag geht ja weiter) über den kommenden Tag: ‚Was wird morgen abgeholt?‘ – ‚Papier- und Biomüll, glaube ich.‘ Enkelin: ‚Papier, Biomüll und der Opa.‘

Fände der Opa das pietätlos? Barbara Rolf glaubt das nicht: „Die Verstorbenen würden ja nicht wollen, dass unser Lachen verstummt. Was für uns gut ist, wird gewiss auch gut für sie sein.” Überhaupt machen sich sogar die Verstorbenen noch auf humorvolle Weise aus dem Jenseits bemerkbar, erzählt Rolf: „Ich hatte mal eine Totenversorgung, bei der alles schieflief. Ich habe erst meine Instrumente nicht gefunden, dann die Socken des Verstorbenen, die Creme, den Kamm; es war total chaotisch. Als ich das später den Zugehörigen erzählte, sagten sie lachend: ‚Das ist typisch für ihn. Immer hat er seine Sachen verbummelt und uns in den Wahnsinn getrieben.‘ Zum Schluss standen wir sogar alle am falschen Tag vor dem Krematorium, weil der Termin dort falsch eingetragen war. Das habe ich sonst nie erlebt! Es ist wirklich wahr.“

Du stirbst, wie du lebst.

Natürlich passt es nicht für jedermann, sich im Trauerfall auch mal einen Scherz zu erlauben. „Es ist völlig legitim, wenn man es nicht mit Humor nehmen kann“, bestätigt Barbara Rolf. Doch: „Nur weil du einen Trauerfall hast, wirst du ja nicht plötzlich humorlos.“ Das heißt: Wenn dir Humor im Leben wichtig ist, wird er dir vermutlich auch in der Trauer wichtig sein. Und vielleicht sogar noch mehr als das: „Mit Humor wird der Tod zurück ins Leben gerückt,“ sagt Johanna Klug, Sterbe- und Trauerbegleiterin. Wenn sie von ihrer Tätigkeit erzählt, kommt zuverlässig die Frage: „Darf man da auch lachen?“ „Als wäre der Mensch nicht mehr Mensch, wenn er trauert“, sagt sie. „Humor kann gerade im Umgang mit dem Tod unheimlich bereichernd sein, wenn man ihn zulässt. Die größte Herausforderung ist, selbst dafür offen zu sein als Begleitperson.“ Und sie erzählt von einer Begegnung mit einem todkranken Mann, der in seiner Freizeit immer viel fotografiert, die Fotos aber mit niemandem geteilt hatte und sich fragte, was nun mit seinen Bildern passieren würde. „Ich habe dann gesagt: ‚Die meisten Künstler werden ja eh erst berühmt, wenn sie tot sind‘ und hab mich im ersten Moment über mich selbst erschrocken. Aber dann prustete er los und wir waren uns für den Rest seiner Zeit viel näher, als wir es sonst gewesen wären.“ Vielleicht weil sie ihn nicht mit Samthandschuhen anfasste, damals? Auf Augenhöhe mit ihm sprach und ihn wie einen Menschen behandelte, nicht nur wie einen Sterbenden?

Es erscheint nachvollziehbar, über Humor zu Komplizen zu werden. Sogar aus einer formellen, tendenziell angespannten Trauerfeier könnte so ein Moment der Verbündung werden – dank eines gemeinsamen Lachanfalls. „Man muss ja immer am schlimmsten lachen, wenn man nicht lachen darf“, findet Anja von Kampen, Erfinderin des „kleinsten Philosophen der Welt“ Knietzsche. „Prinzipiell muss ich mit meinem Gegenüber austarieren, wie weit ich gehen kann. Das ist letztendlich eine Frage der Empathie. Humor kann Nähe schaffen, aber auch Distanz. Humor kann ein Pflaster sein, aber auch eine Waffe. Daher würde ich immer auf das Angebot warten, wenn mein Gegenüber verwundbarer ist. Und dann darauf reagieren.“ Was ist also das Geheimnis von Knietzsche, der sich schon mehrfach in Filmen und Büchern dem Tod widmete? Woran liegt es, dass sein Angebot von so vielen Menschen angenommen und als hilfreich empfunden wird? „Er ist respekt- und liebevoll“, sagt Anja von Kampen. „Er tut sich nicht selbst hervor über seinen Humor, sondern nutzt ihn, um anderen das Leben zu erleichtern. Denn dann ist Humor ein großartiges Werkzeug, um Herzen zu öffnen, Verständnis zu schaffen, Tabus und Grenzen zu überwinden.“

Können wir vielleicht von dieser Kommunikation mit Kindern prinzipiell etwas für einen humorvolleren Umgang mit dem Tod lernen? Es erscheint einem logisch, dass niemand Lust hat, sich mit ihm zu beschäftigen, wenn immer nur mit Grabesstimme gesprochen wird. Henry Schuhmacher kann das bestätigen. Der erfahrene Bestatter hat verschiedenste Projekte ins Leben gerufen und unterstützt, die einen unterhaltsamen Zugang zum Tod schaffen sollen. Ein Beispiel dafür ist der in diesem Jahr verliehene Heinrich-Zille-Preis für Karikaturen, die unter dem Thema „Ich lach mich tot“ eingereicht wurden. Auch für Henry Schuhmacher sind Kinder und ihr zugewandter, lebensbejahender Umgang mit dem Tod eine große Inspiration: „Wenn ein Kind stirbt, kommen seine Freunde und bringen Luftballons, bunte Zeichnungen, Schokoladenkuchen – alles, was das Leben bunter und besser macht“, sagt Schuhmacher. „Natürlich sind die auch traurig, dass ihr Freund oder ihre Freundin nicht mehr da ist, aber sie verlieren deswegen nicht ihre Lebensfreude.“ Und er räumt ein, dass Humor nicht nur den Hinterbliebenen helfen kann, sondern auch den Begleitenden. „Humor hilft beim Überleben.” So sieht das Henry Schuhmacher.  Seine Lieblingskarikatur? Die Oma, die vor drei Gräbern steht, die sie pflegt, mit etwas Platz daneben und der Denkblase: „Na, einer geht noch.“

Das Ärzteblatt schrieb 2019: „In einer Befragung zu Belastungs- sowie Schutzfaktoren im Umgang mit dem Tod stand an zweiter Stelle der Schutzfaktor Humor. So können Sprachlosigkeit vorgebeugt, eine Hilfestellung beim Perspektivwechsel gegeben und zusätzlich soziale Beziehungen gestärkt werden.“

  • Arzt zum Palliativpatienten: „Sie wissen schon, dass Rauchen krebserregend ist?“ 
  • „Und wie geht’s Ihnen heute?“ – „Ach, bis auf den nahenden Tod eigentlich gut!“
  • „Was ist der Unterschied zwischen einem Tumor und einer Krankenschwester? – Der Tumor kann auch gutartig sein!“

All dies sind Witze, die sich auf Palliativstationen erzählt werden. Das Ärzteblatt rät jedoch: „Es ist hilfreich, die Humorvorlieben eines Patienten zu kennen. (…) Beim ersten Einstieg sollte man wissen, ob der Patient schwarzen Humor mag und eine gewisse Akzeptanz bezüglich seiner Krankheit gefunden hat. Der Patient legt fest, wieviel Humor er verträgt.“ So oder so ähnlich gilt das wohl auch für Begegnungen im Trauerfall. Grundvoraussetzung dafür ist aber: Wir müssen selbst wieder näher ran an unsere Toten. Denn was wichtig und witzig ist, können nur die wissen, die den oder die Verstorben kannten. Situationskomik ist nur möglich, wenn man selbst Teil der Situation ist. So wie der Sohn, den Barbara Rolf einst begleitete, der die letzte Schraube in den Sarg drehte mit den Worten: „Guck mal, Mama, jetzt hast du doch Recht behalten, dass ich dein Sargnagel geworden bin.“ Und das fühlte sich laut Rolf nicht unangebracht an: „Gleichzeitig liefen ihm die Tränen übers Gesicht“, erzählt sie. „Er hat in dem Moment einfach die ganze Bandbreite an Emotionen ausgeschöpft.“ Wir tun oft so, als müssten wir alles still erdulden, aber so ist es nicht. Die Menschen dürfen ihren Abschied gestalten und sie können ihn tragen. Sie müssen nicht ohnmächtig daneben stehen. Und Humor, auch schwarzer, hilft dabei.

Man muss ja immer am schlimmsten lachen, wenn man nicht lachen darf.

Anja von Kampen

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