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Wenn Bilder bleiben

Filmemacher Raphael Schanz über die Kraft von Erinnerungsfilmen.

Alle Welt kennt Hochzeitsvideos. Doch von Beerdigungsfilmen hat kaum jemand gehört. Der Grund liegt auf der Hand: Der Tod hat nichts Feierliches. Am liebsten wollen wir die Endlichkeit aus unserem Leben verdrängen und uns auch nicht an den Schmerz erinnern, den wir durch sie erfahren haben.

Aber ich habe selbst erlebt, wie die Auseinandersetzung mit dem Tod neben all der Traurigkeit auch etwas ungemein Schönes und Kostbares in sich tragen kann. Und am Ende führt eh kein Weg am Tod vorbei, so sehr wir es auch versuchen. Also warum ihm nicht begegnen mit derselben Offenheit, mit der wir dem Leben begegnen.

Als Filmemacher glaube ich daran, dass die Kamera ein Werkzeug ist, um Mauern einzureißen, Gespräche anzustoßen und echte Verbindung zwischen Menschen zu schaffen. Deshalb bin ich ausgezogen, das Medium Film als Werkzeug in der Sterbe- und Trauerbegleitung zu erforschen.

Vor kurzem war es dann soweit: Ich drehte den ersten Erinnerungsfilm. Über das Leben von Herrn Seifert, dem Opa meines Freundes und Kameramannes Philipp. Ich war ganz schön aufgeregt, als der 87-Jährige die Tür seines Hauses öffnete. Ein großer Mann mit wachen Augen, die mich musterten, als wollten sie herausfinden, ob ich das ernst meinte. Den Film über sein Leben.

Ich meinte es ernst. Und Herr Seifert fing an zu erzählen. Von seinen Großeltern, die sich nie weiter als zwölf Kilometer von ihrem Dorf entfernten. Von der Bombardierung Dresdens im Februar 1945, die er als Kind miterlebte. Vom Wald, den er als junger Lehrling pflanzte und der heute hochgewachsen ist. Von der Hochzeit mit seiner Frau, die fast in einer Katastrophe mündete. Mit breitem Lächeln holte er das Hochzeitsfoto hervor. „Das war wahre Liebe, wirklich“, sagte er leise. Dieses Lächeln wird bleiben, auch wenn er es eines Tages nicht mehr erzählen kann.

Ein Erinnerungsfilm schafft einen Raum, in dem es nicht nur um die Schwierigkeiten des Älterwerdens geht, um Krankheit, Schmerz oder Trauer. Einen Raum, in dem die Fülle des gelebten Lebens in den Vordergrund rückt. Film kann den Tod nicht leichter machen. Er nimmt die Härte nicht weg. Aber er kann helfen, sie auszuhalten. Er kann helfen, die Lücke zwischen Gehenden und Bleibenden zu überbrücken und einen Ort für Erinnerung und Verbindung zu schaffen.

Ein Film kann helfen, die Lücke zwischen Gehenden und Bleibenden zu überbrücken und einen Ort für Erinnerung und Verbindung zu schaffen.

Es gibt so viele Möglichkeiten, wo ein Film am Lebensende ansetzen kann: Als behutsame Dokumentation der Trauerfeier (das Pendant zum Hochzeitsfilm), als Gespräch mit Weggefährt*innen oder als kurzer filmischer Rückblick auf ein gelebtes Leben. Er kann zu Lebzeiten entstehen, als Vermächtnis und als Geschenk an Kinder, Enkel und Freund*innen. Oder erst danach, als Form des Abschieds und bleibende Erinnerung.

Wenn ich heute an Herrn Seifert denke, denke ich an seine Leidenschaft fürs Erzählen. Wie unterschiedliche Zeiten und Epochen – das Dritte Reich, die DDR, die Wiedervereinigung – in seiner Biografie lebendig werden. Ich bin dankbar für das Gespräch, für das Vertrauen, das er mir schenkte, und für die Nähe, die beim Zuhören und Teilen zwischen uns entstanden ist. Und ich hoffe, dass der Film für alle, die ihn lieb haben, zu einem Ort wird, an dem er weiterlebt.

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